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passive aktivität

Er trug einen langen dunklen Mantel. Der Mantel reichte ihm bis zu den Knöcheln. Genau bis zu der Stelle, an der seine schwarzen Schuhe herausschauten. Seine Haare waren lockig und voluminös. Ein leichter Goldschimmer tanzte durch seinen Ansatz, als er seinen Kopf im Licht bewegte. Die Grübchen auf seinen Wangen warfen kleine Schatten von oben, wenn er lächelte.
“Können Sie mir sagen, wie ich zum Bahnhof komme?” So hatte er mich angesprochen.
“Was haben Sie gesagt?”, hatte ich zurückgefragt.
“Ob Sie mir sagen können, wie ich zum Bahnhof komme.”
“Ich bin hier nicht oft. Tut mir leid”, hatte ich ablehnend gemeint.
“Dafür stehen Sie aber schon recht lange an diesem Bücherstand“, hatte er nachgesetzt.
“Ja, ich stöbere gern. Haben Sie mich beobachtet?”
„Nicht absichtlich.“
„Aha.“ Daraufhin hatte ich mich abgewandt.
“Was gefällt Ihnen denn am Stöbern?”
“Ich weiß nicht. Die Beschäftigung an sich“, hatte ich versucht eine höfliche, aber zurückweisende Antwort zu geben.
“Suchen Sie nach einem bestimmten Werk, einem bestimmten Autor? Oder ist es vielmehr die Passivität, mit der sie die Buchrücken streifen, vielleicht in der Hoffnung, dass eins herausragt und ihre Finger anhält?“
“Sie drücken sich ja sehr detailliert aus”, hatte ich festgestellt.
“Schreiber-Gen. Tut mir leid”, hatte er gemeint.
Ich hatte das Gefühl bekommen, mich zu erklären. “Stöbern an sich bietet die Gelegenheit, sich einvernehmen zu lassen. Sich nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zu entscheiden, sondern abzuwarten. Über die Buchrücken zu streichen und einer inneren Eingebung folgend eines herauszuziehen und letztlich zu kaufen. Das mag ich daran.”
„Sie sind wohl passiv aktiv.”
„Aha.“
“Und die Blumen da?” Tatsächlich hatte ich mir vorhin Tulpen gekauft, noch geschlossene, gelbe und rote. Sie waren in einem braunen Tuch eingewickelt, das unten bereits Wasser gesammelt hatte.
“Was soll mit ihnen sein?”
“Haben Sie die auch aus passiver Aktivität heraus gekauft? Weil Ihre Finger in einem der Sträuße hängen geblieben sind?”
“Nein. Das war eine bewusste Wahl.”
“Denken Sie.”
“Denke ich?“
„Danke für die Wegbeschreibung.“
Er lächelte noch einmal. Dann drehte er sich um. Sein langer dunkler Mantel bäumte sich im Wind auf und für einen kurzen Moment schien es, als würde er abheben. Sie sind wohl passiv aktiv. Was meinte er damit?