Sensitive Short Stories | Episode 3
Eine Frau der Träume
Velvet war eine mittelgroße, hübsche Frau mit langen, sehr dunklen, voluminösen Haaren. Es verging kein Tag, an dem sie keinen Schmuck trug und tat sie es einmal nicht, aus unerfindlichen Gründen, so fühlte sie sich nackt und verletzbar. Velvet bestand aus Schmuck. Sie trug mehrere große goldene Ohrringe, meist Creolen und kleine Piercings, an fast allen Fingern waren silberne und messingfarbige Ringe, mal dicker, mal dünner, manche mit Edelsteinen besetzt, manche in der Form einer Schildkröte oder einer Schlange. An ihren Armen waren mehrere bunte Armreife verteilt und an ihren Füßen Freundschaftsbänder und Zehenringe. Ein Lippenpiercing blitzte auf, wenn sie lachte. Es war, als gehöre der Schmuck zu ihr und sie zum Schmuck und alles andere sei nur Kulisse. Woher sie ihn hatte, verriet sie nicht. Velvet trug selten Farben und wenn, dann waren es gedeckte Farben wie bordeauxrot, currygelb oder cremeweiß. Ihre Haare leuchteten golden, wenn die Sonne auf sie schien. Ihre Augen von undurchdringlichem Braunschwarz, manchmal so dunkel, dass man ihre Pupillen suchte.
Oft bekam sie Geschenke – Bücher, Vasen, Möbel und andere wichtige Dinge. Sie füllte damit ihre große Altbauwohnung wie ein Pinterest Board. Kunst ergatterte sie auf Flohmärkten, von internationalen Freunden und bei Vernissagen. Oft fand sie auf der Straße abgenutzte, halbkaputte Sachen und nahm sie mit nach Hause, um sie zu reparieren und zu verschönern. Wenn man sie besuchte, war mindestens ein Raum immer ein Chaos. Bücher stapelten sich bei ihr auf den Heizungen und auf selbstgebauten Regalen. Im Flur standen große Pflanzentöpfe aus Terracotta. Jeden einzelnen Raum hatte sie in einer anderen Farbe gestrichen. Die Vorhänge an den Fenstern waren seicht und durchscheinend, die Retro-Lampen gaben ein stimmungsvolles, gemütliches und warmes Licht.
Es war etwas an der Art, wie sie ihre Hände bewegte, wenn sie Zigaretten drehte. Wie ein intimer Moment, von dem man unfreiwillig Teil wurde. Eine Sache, die sie nur für sich machte und in der sie völlig versank. Unweigerlich sah man sich gezwungen den Blick bei ihr zu lassen. Das Zigarettendrehen war Teil ihrer Identität. Genauso wie das Tragen von Schlaghosen, Schmuck und Lippenstift.
Es war der routinierte Griff in die Bauchtasche. Sie legte einen weißen Filter an die rotbemalten Lippen und nahm sich ein Pape aus dem kleinen Innentäschchen ihres ledernen Tabakbeutels. Dann griff sie in den Tabak und fischte eine kleine Menge heraus. Sie fing an den Tabak in das Pape zu legen, verteilte ihn behutsam und rollte dann das Pape zwischen ihren beringten Fingern hin und her. Das Pape knisterte, wie die Luft, die zwischen uns stand. Es wirkte fast schon kunstvoll wie sie den Filter von ihrem roten Mund in das Pape platzierte. Er trug einen Abdruck ihres Lippenstifts. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hörte sie auf zu rollen, fuhr in einer einzigen fließenden Bewegung mit ihrer hellen Zungenspitze über den Klebestreifen des Papes und befestigte die befeuchtete Seite. Dann strich sie die Enden glatt, klopfte ein paar Mal mit dem Filterende auf ihren Handrücken, zupfte den oberhalb überstehenden Tabak ab und legte ihn zurück in den Beutel.
Die fertiggerollte, rohe Zigarette landete zwischen ihren roten Lippen. Dann begann sie nach dem Feuerzeug zu kramen. Mit einem Klick entzündete sich die Flamme. Ihre andere Hand formte einen Bogen. Sie näherte sich mit der Zigarettenspitze der Flamme und als sich beide berührten, nahm sie einen tiefen Atemzug. Sie legte das Feuerzeug beiseite, das Zigarettenende ein Feuerball, umrahmt von ihren zwei Fingern. Als sie die Zigarette aus dem Mund nahm, zog sie den Rauch nochmal in die Lunge und atmete aus.