Sensitive Short Stories | Episode 2
Liebe auf den ersten Einbruch
Sie stürmte die Treppen hinauf. Nur noch schnell umziehen, ging ihr durch den Kopf. Sie freute sich auf das Date. Endlich, nach Monaten der Enttäuschung und Trostlosigkeit. Was sie geschrieben hatten, klang vielversprechend. 34. Arbeitete in einer Grundschule. Nebenbei war er Fotograf für Filmpremieren und Porträts. Sein Musikgeschmack zwischen Soul-Rock und Klassik. Konnte kochen. Laut den Bildern ein gepflegter Haarschnitt und eleganter Stil. Ein paar Tattoos hatte er auch. Sie stand auf Tattoos. Verabredet hatten sie sich um acht im Karuma, einem Fusion-Restaurant in der Kingston Street, was vor Kurzem neu eröffnet hatte.
Sie nahm die letzten Stufen doppelt, hastig. Sie wollte keine Zeit verschwenden und unbedingt pünktlich beim Restaurant erscheinen. Als ihr Blick nach oben glitt, verpasste sie kurz eine Stufe, stolperte und fing sich am Geländer. Und ihr Herz setzte aus bei dem Anblick, der sich ihr eröffnete.
Ihre Haustür stand sperrangelweit offen, die Küche und der Flur ein einziges Chaos. Schuhe, Lebensmittel, Unterlagen und Klamotten sowie Geschirr lagen auf dem Boden verstreut, der Teppich verschoben. Das Licht brannte noch. Ihr Atem stockte. Wie in Zeitlupe ging sie die letzten Stufen hoch, den Blick starr auf die Eingangstür und das Chaos dahinter gerichtet. Im Haus war es still auf einmal, ihre Schritte hallten laut im Treppenhaus.
Sie machte einen zögerlichen Schritt in die Wohnung, stapfte durch das Chaos auf dem Boden, sah sich um. Ihr Herz schlug schnell. Möbel waren umgeworfen und Schubladen geöffnet, ihre Klamotten auf der Stange beiseitegeschoben und teilweise heruntergefallen. Die sorgsam aufgereihten Bücher auf dem Regal lagen verknittert und durcheinander auf dem Dielenboden. Ihre Monstera war umgeworfen, eine wertvolle Lampe, die sie erst vor Kurzem auf dem Flohmarkt ergattert hatte, lag zerbrochen daneben.
Ihre gute Laune war sofort verflogen und ihr traten Tränen in die Augen, sie konnte nicht gut atmen. Auf einmal war es entsetzlich heiß und ihr Herz schlug so schnell, dass sie es hören konnte. Obwohl sie nicht viele Möbel oder Besitztümer hatte, geschweige denn irgendetwas von Wert wie Schmuck, Erbstücke oder Bargeld, war bei ihr eingebrochen worden. Ihre Wohnung hatte sie nach dem Umzug sehr spärlich eingerichtet, nur das Nötigste über Second-Hand-Läden geholt. Das meiste war für die Kaution und Küchenablöse draufgegangen. Alex hatte nach der Trennung die meisten Sachen aus ihrer gemeinsamen Wohnung behalten, um es mit nach Chicago zu nehmen, wo sein neuer Job und sein neues Leben anfingen.
Hastig schritt sie durch die komplette Wohnung, um nachzusehen, ob noch jemand da war. Aber natürlich war da niemand.
„Ja, lustig“, sagte sie zu sich selbst. Mehr dissoziiert als anwesend. Was mach ich jetzt?
Erstmal atmen. Die Haustür schließen, sofern das noch möglich war, das ist das Wichtigste. Eventuell den Schlüsseldienst rufen. Überprüfen, ob wichtige Dinge fehlen, waren Wertsachen oder ihr Laptop mit den geheimen Daten entwendet worden? Konnte sie jemanden anrufen? Sollte sie die Polizei verständigen? Was war kaputt, was musste gesichert werden? Wie konnte sie herausfinden, was passiert war und wer dahintersteckte? Und das Date mit Emanuel?
Sie zog ihr Handy aus der Tasche, 23% Akku. Okay, ich schreibe ihm kurz. Ich muss ihm schreiben. Der erste Schock war überwunden, aber ihre Hände zitterten als sie die Nachricht eintippte.
Emanuel, ich muss unser Date verschieben – bei mir wurde eingebrochen. Bin grad nach Hause gekommen, muss hier erstmal Ordnung schaffen und mein Türschloss reparieren lassen. Und klarkommen! Tut mir leid.
Dann stellte sie ihre Bauchtasche in der Küche ab und schaute sich das Türschloss an. Es schien gar nicht groß beschädigt worden zu sein. Wie sind die hier reingekommen? Sie machte Fotos für die Versicherung und probierte die Tür von innen zu schließen und abzusperren. Der Schlüssel funktionierte zwar nicht mehr, aber die Tür fiel zumindest ins Schloss. Anschließend hob sie eine der Dielen in ihrem Schlafzimmer an, worunter sich ein Fach versteckte, das abgeschlossen war und in dem ihr Laptop mit den geheimen Daten aufbewahrt war. Alles schien noch an Ort und Stelle zu sein. Sie schloss das Fach auf und sah erleichtert ihren Laptop darin liegen. Dann machte sie Fotos von den Räumen, wie sie sie vorgefunden hatte und begann den Boden freizuräumen. Sollte ich die Polizei anrufen? Ist das ein Tatort? Ihr Handy machte einen Ton.
Hi Tami, das ist ja schrecklich!! Das tut mir leid zu hören. Soll ich vorbeikommen, um dir zu helfen bei irgendwas? Also, wenn das für dich hilfreich ist. Ansonsten drück ich die Daumen, dass nichts Elementares verschwunden ist und die Polizei dir hilft! Und freu mich, wenn du wann anders ready bist für unsere Verabredung. LG Emanuel
Okay, wie hardcore sweet ist das denn? Sie ertappte sich dabei, wie sie grinsend den Kopf schüttelte. Eigentlich war diese Situation so gar nicht dafür geeignet, jemand Fremden in die Wohnung zu lassen und dazu mit ihm gemeinsam sogar noch dieses Einbruch-Chaos zu beseitigen. Wo sich doch gar nicht kannten. Außerdem wusste sie noch gar nicht, ob der Einbruch nicht doch etwas mit den geheimen Daten zu tun haben könnte und wer überhaupt dahintersteckte. Andererseits … why the fuck not? Das hörte sich an wie die perfekte Einstimmung für jemanden, den sie sich an ihrer Seite vorstellte. Denn ihr Leben war auf jeden Fall chaotisch. Es war zwar sehr ungewöhnlich und könnte slightly überfordernd sein, aber wie sonst sollte man nach diesem Schockerlebnis sich annähern? Gezwungenermaßen würde man sich beim ersten Treffen über das Ereignis unterhalten und es würde die Konversation dominieren. Er wird bestimmt komplett überfordert sein. Vielleicht ist er wahnsinnig ungeschickt mit der Situation und sein Ungeschick wird mich abtörnen. Ich werde mir Vorwürfe machen, überhaupt drauf eingegangen zu sein. Aber hätte er es sonst angeboten? Scheiße, nein.
Krass, okay cool. Gesellschaft wäre jetzt tatsächlich sehr gut. Chiswick Rd 153. Hammington. C u.
Moment, was hatte sie da gerade gesendet? Eine Einladung zu sich nach Hause an einen Typen, den sie vor drei Wochen auf einer Dating App gematcht, mit dem sie keine zehn Sätze gewechselt hatte und mit dem sie sich bewusst außerhalb (!) treffen wollte, um zu sehen, ob er ein Creep war oder verzweifelt oder doch ein Muttersöhnchen oder ein fucking rechtsorientierter Alpha? Ja, sieht ganz so aus. Das habe ich gemacht.
Sie war gerade dabei, das zerbrochene Geschirr in den Hausmüll zu entsorgen, als es klingelte. Ihr Herz setzte nochmal kurz aus. Scheiße, das passiert wirklich. Der ist hergekommen.
Sie nahm mit zittrigen Händen den Hörer bei der Gegensprechanlage ab.
„Ja?“, fragte sie zögerlich.
Es antwortete eine melodische, tiefe Stimme. „Ja, hi. Emanuel hier. Hab gehört bei dir wurde eingebrochen.“
Ihr entfuhr ein kleines Lachen.
„Korrekt. Zweiter Stock links.“ Sie drückte auf den Türöffner und legte den Hörer auf. Ungläubig zog schon wieder ein Grinsen über ihr Gesicht. Der Typ brachte es fertig, hier aufzukreuzen, obwohl sie genau jetzt im Karuma sitzen, Sweet Chicken Tacos verspeisen und sich über ihrer beider Leben unterhalten sollten. Und sie brachte es fertig, warum auch immer, in dieser Situation stabil zu sein. Sie öffnete die Tür einen Spalt und machte das Licht im Flur an. Von unten hörte sie, wie er die Treppen hinaufstieg. Ihr Herz pochte. Scheiße. Ist es doch ein Creep? Ist er verzweifelt und ein Muttersöhnchen? Oder ein fucking …
Aber so weit kam ihr Gehirn nicht mehr. Denn vor ihrer Tür stand ein attraktiver, frisch rasierter junger Mann in wide-leg pants, dunklem Hemd und Sneakern und lächelte sie an.