Sensitive Short Stories | Episode 7
Future Flat Dating
Mit einem großen, befriedigenden Strich hakte sie den Namen Mel auf ihrer Liste ab und schrieb dazu Brut Tower/Marina City, Beamtin, Dusche so groß wie mein Zimmer, 4 von 5 Sternen. Mel war mittlerweile die elfte Frau, mit der Sophie innerhalb eines halben Jahres geschlafen hatte. Seit sie vor sieben Monaten nach Chicago gezogen war, ging es mit ihrem Sexleben bergauf. In der Stadt war einfach mehr zu kriegen. Manchmal blieb es bei einem klassischen betrunkenen One-Night-Stand mit Kaffee am Morgen und sentimentalem Goodbye. Manchmal traf sie das Girl für mehrere Wochen und sie verbrachten zusammen schöne Zeiten beim Kochen, im Park oder sie fuhr mit ihr raus nach Michigan City.
Für Sophie war es unendlich erfüllend ihren Body Count stetig zu erhöhen, nach ihrer Liste zu gehen, und zu vergleichen, wie intensiv der Sex, die Stimmung oder der Style ihres Gegenübers gewesen waren. Oft erwischte sie sich dabei, wie sie sich fragte, ob sie genauso leben könne wie die Frau, mit der sie gerade schlief. Ob sie sich dauerhaft in der Wohnung wohlfühlen würde. Und ob sie beide harmonieren würden, wenn sie hier zu zweit leben würden. Vor allem verglich sie die Wohnungen ihrer Dates. Sophie nannte es ihre Future Flat Dating List. Sie wollte in mehr oder weniger schöne, große Wohnungen eingeladen werden und sich dort Interior Design Tipps holen. Und es war ihr egal, dass das vielleicht naiv oder unbedacht oder abgebrüht daherkam.
Bei ihren Dates und One-Night-Stands inspizierte Sophie neugierig die Wohnungen nach Dingen, die sie inspirierten. Manchmal gefielen ihr die Dinge so gut, dass sie sie nachkaufte oder auf Ebay ersteigerte. In allen Wohnungen entdeckte sie Kleinigkeiten und Stile, die sie später in ihre eigene zukünftige Wohnung integrieren wollte – falls sie sich jemals eine bessere größere schönere Wohnung in einem anderen Stadtteil leisten konnte.
Momentan lebte sie in einem der heruntergekommenen und drogenberüchtigten Stadtteile Chicagos, in North Lawndale. Ihre Wohnung war karg, klein und hauptsächlich funktional eingerichtet. In den sieben Monaten hatte sie es noch nicht geschafft, sich ordentlich einzurichten. Die Garderobe bestand nach wie vor aus ihrem alten Kleiderschrank, kein Schuhregal, kein Teppich und als Lampe diente die Glühbirne. Der Retro-Kühlschrank war ihre teuerste Anschaffung gewesen mit satten 410 Euro. Eine Waschmaschine hatte sie geschenkt bekommen sowie eine alte Kommode für ihre Klamotten. Ihre Matratze lag auf dem Boden, Bücher waren ihr Nachttisch. In der Küche befand sich lediglich ein einfacher Holztisch mit einer mobilen Herdplatte sowie ein abgetragener Plastikstuhl. Für andere Sachen hatte sie anfangs kein Geld übriggehabt.
Mels Wohnung hatte im 11. Stock im Brut Tower gelegen. Ein Bad aus Marmor mit großer Badewanne, an den hellgrauen Betonwänden kunstvolle Werke und Eigenkreationen, im Wohnzimmer ein beigefarbener Wollteppich zur schwarzen Ledercouch, eine verspielte Ecke mit Pflanzen und Kissen auf dem Boden und einem Bücherregal aus Kiefernholz. Kein Fernseher, viele Bücher, Pflanzen – Sophie hatte sich sofort wohlgefühlt.
Auch wenn sie gerade nur sporadisch das Vergnügen bekam, sich in schön eingerichteten Wohnungen aufzuhalten – nämlich immer dann, wenn ihr Date erfolgreich im Bett endete – war es für Sophie ein erfüllender Zeitvertreib neben ihrem Teilzeitjob in der Agentur. Irgendwann, sagte sie sich, werde sie sich auch 70 Quadratmeter leisten können, ihre Möbel selbst herstellen, ihre eigene Küche kreieren und den Platz zu einem Ort machen, an dem sie sich voll und ganz angekommen fühlte.